Der Klimawandel und seine Folgen am Rio Negro

Unsere Partnerschaftskoordinatorin Kerstin Plaß reiste im Oktober nach Brasilien, um sich vor Ort ein Bild von der Lage am Rio Negro zu machen. Folglich können Sie Ihren Bericht lesen.

Ein Leben zwischen den Extremen

Waren die letzten drei Jahre durch extreme Niederschläge und Überschwemmungen geprägt, so dominieren durch den anhaltenden El Niño-Effekt heuer drückende Hitze, niedrige Pegelstände in den Flüssen sowie unkontrollierte Waldbrände. Noch können die Auswirkungen der immer extremeren Dürre nicht ausreichend abgeschätzt werden, da der Amazonas-Sommer gerade erst beginnt. Doch bereits jetzt ist klar, dass das heurige Jahr die Rekordwerte in vielen Bereichen zu sprengen droht und eine große Bedrohung für Ernährungssicherheit und Gesundheit der Menschen am Rio Negro darstellt.

Die anhaltende Dürre am Amazonas führt auch auf seinen Nebenflüssen zu riesigen Sandbänken und legt große Felsformationen frei. Auf den wilden Gewässern des Rio Negro bedeutet das eine große Gefahr für den regionalen Schiffsverkehr: Die ansonsten kilometerbreiten und metertiefen Kanäle schrumpfen zu schmalen, seichten Flussbändern, die das Navigieren großer Fähren und Transportschiffe, die für die Versorgung der Region mit Grundnahrungsmitteln, Treibstoff und anderen Gütern unabdingbar sind, unmöglich machen.

Herausforderungen der Infrastruktur

Und das ist ein Problem, denn: Auch am Amazonas ist das Leben heute stark abhängig von einer stabilen Stromversorgung: Trink- und Nutzwasser-Versorgung mittels elektrischer Pumpen, Kühlketten für Lebensmittel und Medikamente, Ventilatoren gegen die extreme Hitze, Internet uvm. benötigen Strom. 44.000 Liter Diesel verbraucht die Stadt São Gabriel da Cachoeira inmitten des Amazonas-Regenwaldes täglich, um die rund 35.000 Einwohner:innen der lokalen Bevölkerung mit Strom zu versorgen. Die Stromversorgung der Stadt funktioniert über ein Wärmekraftwerk, das mit Treibstoff betrieben wird – zusätzlich besitzen zahlreiche Restaurants, Privathaushalte und Kleinunternehmen eigene Generatoren, um in Notsituationen die Stromversorgung aufrecht erhalten zu können. Nicht einberechnet in diese Unmengen ist jedoch der Verbrauch allein für den Transport des Treibstoffs von den Häfen in Manaus gut 1.700 km stromaufwärts nach São Gabriel. 

Aufgrund der Dürre und des mangelnden Treibstoffs führte die Stadt daher einen Rationierungsplan ein, wodurch in den Wohnvierteln teilweise stundenlang der Strom und damit auch der Zugang zu Wasser, Licht, Internet uvm. Fehlen. Die aktuelle Lage hat zur Folge, dass in zahlreichen Haushalten das Wasser fehlt und die Menschen zur Abkühlung gegen die brütende Hitze von knapp 40 Grad sowie zum Waschen von Wäsche und Geschirr mit Sack und Pack bis zum Hafen laufen müssen. An zentralen Punkten gibt es auch öffentliche Brunnen, die trotz des Rationierungsplans funktionieren und an denen die Menschen Schubkarrenweise Wasser abfüllen, um ihre Familien zu versorgen. Vielen bleibt nur die Hoffnung auf Regen, um das Wasser in ihren hauseigenen Regentonnen zu sammeln. Doch der Klimawandel hat die Region fest im Griff und führt zu starken Schwankungen der Niederschläge.  

Das Problem mit dem Müll

Mangelnde Investitionen in den Ausbau erneuerbarer Energien bedeuten daher heute in einer der sonnen- und wasserreichsten Regionen der Welt nach wie vor eine enorme Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen. Auch Transport und Fortbewegung auf den von Stromschnellen geprägten rauen Fließgewässern sind dort bis heute von Diesel-betriebenen Motoren abhängig. Ebenso wie die Müllverbrennung, die in der Stadt bis heute kein ordentliches System für die Trennung und das Recycling von Wertstoffen etabliert hat. Das führt dazu, dass Rest- und Plastikmüll häufig in der Natur entsorgt wird und dort zu einer Gefahr für die Gesundheit von Mensch und Umwelt wird. Besonders eindrücklich werden die Dimensionen dieser Müllverschmutzung im Amazonischen Sommer sichtbar: 

Dann sind die Flusspegel besonders niedrig und der Müll wird an den Stränden der Häfen angeschwemmt. In São Gabriel organisiert die Rede Wayurí – eine Gruppe junger indigener Umwelt-Journalist:innen und –Aktivist:innen daher seit November 2023 kollektive Müllsammel-Aktionen, um die Strände von Abfällen zu befreien und die Gemeindemitarbeiter:innen bei dieser wichtigen Aufgabe zu unterstützen. Bei der ersten gemeinsamen Aktion am 04.11.2023, bei der auch Klimabündnis-Kollegin Kerstin Plaß vor Ort mit dabei war, konnten so innerhalb weniger Stunden 6 Tonnen Müll gesammelt werden. Dieser Auftakt führte auch zu ersten wichtigen Gesprächen mit Zuständigen aus der Gemeinde, um die Müllentsorgung in der Stadt künftig besser zu strukturieren. 

Um die immense Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen künftig zu reduzieren, sind auch am Rio Negro vermehrt Investitionen in den Aufbau von Know-How für lokale Lösungen nötig. Ein leuchtendes Beispiel dafür ist der indigene Physiker und Lehrer, Juvencio Cardoso, besser bekannt als Dzoodzo. Im Zuge seiner Masterarbeit zum Abschluss des Studiums erarbeitete er eine Technologie zur Trinkwasserversorgung der Dorfgemeinde Santa Isabel, die weder Strom noch Treibstoff benötigt, sondern allein durch die intelligente Nutzung der Schwerkraft funktioniert. Durch die Ausnutzung eines Gefälles in der Landschaft wird das in einem Becken gesammelte Quellwasser über Schläuche zu einer Pumpe transportiert, die mittels der entstehenden Schwerkraft genügend Druck erzeugt, um das Wasser bis in die Haushalte des Dorfs weiterzupumpen.

Ideen für weitere Technologien hat Dzoodzo zur Genüge – von Wasserwirbelkraftwerken über den Ausbau der Solarenergie sowie den Bau des ersten solarbetriebenen Bootes der Region gemeinsam mit seinen Schüler:innen (mit finanzieller Unterstützung des BMK). Doch für die Unabhängigkeit der Region braucht es neben der finanziellen Unterstützung für die Umsetzung solcher Projekte, heute vor allem eines: Indigene Expert:innen wie Dzoodzo vor Ort, die diesen Wandel aktiv vorantreiben und an kreativen lokalen Lösungen arbeiten. 

Besuch von Kerstin Plaß bei FOIRN

30 Jahre Partnerschaft

Das Klimabündnis unterstützt die Region dabei seit 30 Jahren und blickt auf zahlreiche gemeinsame Erfolge zur Stärkung der Region zurück. Doch neben all den Erfolgen bestehen auch heute zahlreiche Herausforderungen, um ein gutes Leben für alle Menschen am Rio Negro zu garantieren. Wollen wir eine klimagerechte Welt, so liegt es in unserer Verantwortung, unsere Partner:innen auf diesem wichtigen Weg der Transition zu begleiten und durch den persönlichen Austausch voneinander zu lernen.  

GLOBAL DENKEN
LOKAL HANDELN
KLIMABÜNDNIS
AM RIO NEGRO

Gemeinsam mit unseren Gemeinden, Bildungs-
einrichtungen und Betrieben unterstützen wir indigene
Völker in Südamerika beim Erhalt des Regenwaldes.
Fluss zwischen grünen Bäumen

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Kerstin Plaß